Radios comunitarias in Uruguay

Füße auf dem Boden, Stimme in der Luft – Radios comunitarias in Uruguay

Von Carlos »Castor« Ramos

Foto: Ernesto Bideau (Comcosur)

Es war das Haus einer Arbeiterfamilie, wie alle anderen, am Ende der Straße. Um dorthin zu gelangen, musste ich auf einem schmalen Pfad an einem anderen Haus vorbeigehen, das von einer bedrohlichen Hündin namens Loba (Wölfin) bewacht wurde. Ihre Leine hing ziemlich locker. Ich ging schnell über die Straße und betrat das Haus von Elma.

Ihr Sohn Adrian, Mitglied des Radios, war nicht da. Elma bat mich herein und wir betraten das Zimmer von Adrian. Ein Bett, Kartons, ein paar CDs, viele Kassetten, Graffitis. Eine kleine Kiste mit Transistoren, die voller Erde war, und ein Kabel, das bis zur Decke ging. Sofort wusste ich: Hier war ich im Herzen von Alternativa FM, dem Piratensender des Stadtteils Belvedere. Wir schreiben das Jahr 1995.

An diesem Tag wollte der Zufall, dass ich mein Debüt im radio sin permiso (»das Radio ohne Genehmigung«) hatte. Zehn Jahre blieb ich dabei. Ich erinnere mich an den Adrenalinstoß, den ich jeden Tag vor der Übertragung bekam. Wir gingen nachts auf Sendung, weil zu vorgerückter Stunde die Polizei nicht – oder zumindest nicht legal – in Privathäuser eindringen konnte. Der eigentliche Stress lag natürlich in den Stunden davor: Da mussten wir die Geräte befördern (wir ließen sie nie im Sender) und dabei höllisch aufpassen, dass uns niemand folgte. Auch die Fahrräder für den Transport mussten wir organisieren.

Aber das Härteste kam zum Schluss, wenn nach der Sendung die Anlage in ihr Versteck zurückgebracht werden musste – wieder mit dem Fahrrad. Auf den Straßen war es gefährlicher als tagsüber, da gab es Diebe, Junkies und korrupte Polizisten auf Streife. Trotz unserer Vorsichtsmaßnahmen wurden wir fünf Mal von der DNC – also von Leuten vom Verteidigungsministerium – durchsucht, was für uns riesige Verluste mit sich brachte.

Unsere Parole des Widerstands lautete: Auch wenn sie uns durchsuchen, gehen wir in derselben Nacht auf Sendung. Tatsächlich setzten wir das auch so um. In einer Zeit, in der es noch nicht so viele Sender gab, war es wagemutig, auf diese Art Radio zu machen. Irgendwie authentisch, vielleicht irrational, einfach mit Liebe.

Sendegeräte in besetzte Schulen bringen, Antennen für Bauernkongresse organisieren, Gruppen von Schwulen, Lesben und Frauen im Programm zu Wort kommen lassen, Essen für Fabrik- oder Landbesetzungen sammeln – wir waren nicht die Ersten und noch weniger die Einzigen. Aber wir waren mit dabei, und die Saat geht immer noch auf.

 

Wie alles anfing

Ein großer Teil der lateinamerikanischen Medienlandschaft wird vom kommerziellen Sektor, also vom Markt beherrscht. Das Programmangebot ist zunehmend entpolitisiert, billige Shows und Telenovelas beherrschen das Panorama. Uruguay bildet da keine Ausnahme.

Alle Massenmedien in Uruguay – Radio, Fernsehen, und Zeitungen – sind in wenigen Händen und Familien konzentriert. Defeo, Scheck, Romay und Fontaina sind dabei die wichtigsten Namen. Mit ein paar anderen zusammen bilden sie die derzeitige Elite, die die Medien im Land beherrschen.

Während der Diktatur in Uruguay (1973–1985) wurde 1977 mit dem Gesetz 14670 der Rundfunk als eine Dienstleistung im Interesse der Öffentlichkeit definiert. Diese Norm verbot Sendungen, die nicht von der Exekutive autorisiert waren, und verfügte, dass Sender, die dem zuwiderhandelten, geschlossen und ihre Sendeanlagen ohne Recht auf Entschädigung beschlagnahmt werden konnten. Die mit der Kontrolle beauftragte Behörde – die Nationale Leitung für Kommunikation (Dirección Nacional de Comunicaciones, DNC) – unterstand dem Verteidigungsministerium.

In den 1980er Jahren kamen die ersten Piratensender auf. Sie machten noch viele Fehler, hatten eine geringe Reichweite und waren recht kurzlebig. Anfang der 1990er Jahre entwickelte sich dann ein außergewöhnliches Radioprojekt: das cx44 Radio Panamericana. Es arbeitete und sendete von Montevideo aus und war von der ehemaligen Stadtguerilla MLN-Tupamaros gestartet worden. Hier wurde versucht, die Senderäume für Information, Kommunikation und Unterhaltung wirklich demokratisch zu nutzen.

Am 24. August 1994 ereignete sich in der Nähe des Filtro-Krankenhauses das sog. Massaker von Jacinto Vera. Der Hintergrund: Damals sollten drei baskische Staatsbürger an Spanien ausgeliefert werden, da ihnen Mitgliedschaft bei der ETA vorgeworfen worden war. Tausende von Menschen protestierten friedlich vor dem Krankenhaus, in dem die drei festgehalten wurden. Radio Panamericana berichtete über die Ereignisse und stärkte die Solidarität mit den Basken. Wenige Stunden vor deren Abschiebung griffen Stoßtrupps die Protestierenden an. Die Repression des uruguayischen Staates gegen seine BürgerInnen fiel heftig aus: Es gab Tote und Hunderte von Verletzten. Der Radiosender cx36 (Radio Centenario) wurde für einige Tage geschlossen, die Schließung des Senders cx44 dauert bis heute an. Die soziale Bewegung erlitt ein Trauma, das tiefe Spuren hinterlassen hat.

1995 löste ein Uni-Streik einen zwei Monate andauernden Konflikt aus. In dieser Zeit ging Radio FEUU auf Sendung, das Radio des Studierenden-Verbandes von Uruguay. Mit der Ruhe in der Hauptstadt war es erst einmal vorbei. Doch die uruguayische Regierung reagierte wieder schnell und ging gegen die Radios vor, die zu dem Zeitpunkt sendeten: El Puente FM im Stadtviertel La Teja und Alternativa FM im Stadtteil Belvedere.

Ab 1996 gab es einen wahren Boom dieser Radios, die sich selbst als radios comunitarias bezeichnen: in Montevideo, in der nördlichen Grenzstadt Artigas, im Zentrum des Landes (La Paloma, Durazno) und auch in Valizas an der Atlantikküste. Diese Radios gaben sich ein soziales Profil, waren auf ein Stadtviertel oder eine Gemeinde bezogen oder richteten sich an eine bestimmte Interessensgruppe, wie marginalisierte Jugendliche, SchülerInnen oder StudentInnen. Einige schmückten sich mit dem schönen Namen »Piraten-Radio« oder »freies Radio«.

Im Dezember 1995 begann eine weitere repressive Phase, in deren Verlauf mehrere Sender durchsucht und wertvolle Sendegeräte beschlagnahmt wurden. Um der Repression etwas entgegenzusetzen und die eigenen Positionen der Öffentlichkeit zu präsentieren, organisierte die uruguayische Sektion des »Weltverbandes der Kommunitären Radios« AMARC-ALC im April 1996 das landesweit erste Treffen dieser Radios: »Mit den Füßen auf dem Boden und der Stimme in der Luft« lautete der Tagungstitel. Im Juni entstand die »Koordination der Kommunitären Radios von Uruguay« ECOS. ECOS versucht, alle alternativen Initiativen im Land zusammenzuführen. Seine Gründungsprinzipien beziehen sich auf die Sender, die keinen Gewinn anstreben und eine kollektive Eigentumsform haben.

 

Dialog statt Repression

Im Jahr 2000, während der Präsidentschaft von Jorge Batlle von der Colorado-Partei, wurde eine Behörde zur Regulierung der Kommunikationsdienstleistungen – URSEC – geschaffen, die die alte Behörde des Verteidigungsministeriums (DNC) ersetzte. Anfangs arbeitete dort aber noch dasselbe Personal. Um die rechtlich ungeklärte Situation der kommunitären Radios zu regeln, wurde ein Dialog-Tisch eingesetzt, zu dem der Nationale Rundfunkverband von Uruguay ANDEBU, der Verband der Radiosender im Landesinneren RAMI und die uruguayische Sektion des Weltverbandes AMARC eingeladen wurden. ECOS, die nationale Koordination der freien Radios, blieb außen vor.

Zwischen ECOS und AMARC Uruguay vertieften sich die Differenzen anlässlich der Frage, wie mit dieser Initiative umzugehen sei. Die Verbände distanzierten sich voneinander, was bis heute anhält und ein großes Problem für die Bewegung der alternativen Medien in Uruguay darstellt.

Beim Dialog-Tisch wurde die Intoleranz der Unternehmergruppen gegenüber den alternativen Medien offensichtlich. Alte Argumente wurden hervorgeholt, wie z.B. das von María Celia Fontaina, der Vorsitzenden von ANDEBU: »Die illegalen Sender stehen für den Missbrauch des demokratischen Systems. Wo immer sie auftreten, sind sie ein Symbol für Anarchie und Subversion«, gab sie in de Zeitschrift Broadcaster (Nr. 15, 1996) zum Besten.

Ergebnis der Verhandlungen des Dialog-Tisches war eine Gesetzesvorlage für kommunitäre Medien. Als das Mitte-Links-Bündnis Frente Amplio-Encuentro Progresista-Nueva Mayoría im März 2005 an die Regierung kam, wurde die Gesetzesinitiative im Parlament debattiert. Im Dezember 2007 wurde das Gesetz schließlich von der Abgeordnetenkammer angenommen. Das Gesetz Nr. 18232 zu kommunitären Radios verfügt das Recht auf Ausdrucks-, Kommunikations- und Informationsfreiheit sowie das Recht, zum Zweck der Rundfunkübertragung ein Kommunikationsmedium zu gründen. Nach Meinung von Carlos Casares von der alternativen Nachrichtenagentur Comcosur bedeutet dieses Gesetz »selbst im lateinamerikanischen Kontext einen riesigen Fortschritt«. Man habe nicht mit einem Gesetz gerechnet, das einen demokratischen und transparenten Zugang für die Arbeit der kommunitären Radios und Fernsehkanälen bereithalte.

Für die Koordination ECOS hingegen widerspricht das Gesetz ihren Gründungsstatuten. Sie meint, dass das Gesetz ihre horizontale Organisationsform nicht respektiere. Außerdem bleibe der Ermessensspielraum der Exekutive bei der Verwaltung der Frequenzen nach wie vor bestehen. Im Juni 2009 hat die URSEC den Sender La Klasista fm, der seit zehn Jahren in Montevideo gesendet hatte, schließen lassen. Grund: »Störung anderer Frequenzen«. Der ungleiche Kampf für die »Öffnung der Mikrofone« in Uruguay geht in die nächste Runde.

(Übersetzung: Bettina Reis)

Quelle: Stefan Thimmel, Theo Bruns, Gert Eisenbürger, Britt Weyde (Hg.). Uruguay. Ein Land in Bewegung. Verlag Assoziation A. Berlin, Hamburg 2010

http://www.assoziation-a.de/gesamt/Uruguay.htm